Vielschichtige Einstimmigkeit

Mikrotonale Musik auf ominösen Instrumenten. „Monophonie“ mit dem Ensemble Musikfabrik bei der Ruhrtriennale. Eine Konzertkritik.

Chromelodeon © flickr.de/SethTisue

Dunkelheit in der Jahrhunderthalle Bochum. Ein Geruch von Stahl und alt-abgestandenem Maschinenfett liegt in der Luft. Von den Instrumenten sind nur schemenhafte Umrisse zu erkennen. Sie scheinen aus einem Fantasieland zu kommen, etwa aus Willy Wonka‘s Schokoladenfabrik oder Ollivander‘s Zauberstabladen.

Harry Partch & Instrumente

Harry Partch (1901-1974) war ein US-amerikanischer Komponist, Musiktheoretiker und Instrumentenbauer. Er war einer der ersten westlichen Komponisten, die sich mit mikrotonaler Musik beschäftigt haben, also vor allem mikrotonalen Intervallen, die kleiner als ein Halbtonabstand sind. In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte er seine Instrumente speziell für die Aufführung seiner musikalischen Texte und körperlichen Theaterarbeiten. Mit Hilfe dieser Instrumente ließen sich die mikrotonalen Intervalle seines selbstentwickelten Tonsystems nun adäquat umsetzen. Partch‘s System unterteilt die Oktave in 43 Tonschritte anstatt den konventionellen 12 und gründet sich auf die „Lehre von den Tonempfindungen“ von Hermann von Helmholtz.

Um die Instrumente wabert lichter Nebel. Es ist still. Nur ein Flugzeug fliegt mit dumpfem Motorengeräusch hoch oben über das Geschehen hinweg. Noch immer passiert nichts. Das Publikum schaut auf die bauchigen Riesengläser, besser gesagt die Cloud-Chamber Bowls, die im warmen Scheinwerferlicht goldgelb schimmern. Schwarze Gestalten tauchen aus den Schatten auf. Bewegungslos und kerzengerade stehen nun alle Mitglieder des Ensemble Musikfabrik neben den Instrumenten. Ein dumpfer Schlag, dann erklingt Musik.

Vergangenheit

Klänge verschieben sich und reiben aneinander, Schwebungen pulsieren im Ohr. Die schwer einzuordnenden Klänge des fremdartigen Tonsystems aus Mikrotönen kriechen den Stahl entlang und füllen jede Nische. Ein stetiges Pulsieren, An- und Abschwellen der einzelnen Tontrauben. Als würden verschieden große Fantasie-Krankenwagen schneller oder langsamer an einem vorbeifahren. Dröhnende Klänge, die haarscharf am gewohnten Empfinden des eigenen Ohrs vorbeischrammen.

Marimbas erzeugen dumpfe Klänge und Riesenkitharas elektronische Glissandi. Dazu zählt eine Sprechstimme four, five, six, seven und reiht zusammenhangslose Unsinnswörter aneinander: honky tonky, walky talky, itsy bitsy, teenie weenie. Das muss wohl der Humor von Harry Partch sein. Ring around the Moon A Dance Fantasm for Here and Now ist eins seiner drei Tanzstücke, die Partch im Sommer 1952 komponierte und später unter dem Titel Plectra and Percussion Dances zusammenfasste. Für ihn haben die Arbeiten keine besondere Verbindung zueinander, sondern sind auch ein Versuch, neue Techniken für die Instrumente zu entwickeln. Und genau diesen Humor, diese ironische und experimentelle Herangehensweise, macht dieses Werk aus. Man merkt: Partch nimmt sich selbst gar nicht so wichtig.

Die Sprechstimme redet weiter: Look out, hes got a gun. Und abrupt endet das Stück, die Musiker haben ihre Hände in einer Abwehrstellung über ihre Köpfe gehoben und starren direkt ins Publikum.

Gegenwart

Das zweite Stück stammt von Simon Steen-Andersen, heißt Korpus und wurde für acht Spieler an drei Harry-Partch-Instrumenten komponiert. Hinter einer Diamond Marimba sind nun Leuchtstäbe aufgebaut, die weißes, fluoreszierendes Licht ausströmen, das zunächst die private Atmosphäre stört und die visuelle Komponente des multimedial arbeitenden Komponisten unterstützt. Steen-Andersen experimentiert mit Stimme und Luft. Unter den Klang mischt sich das Geräusch einer gedämpften Bohrmaschine. Dieser eigenartige Sound entsteht, wenn ein flauschiger, roter Riesenschlägel auf eine vibrierende Oberfläche trifft. Bei jedem Schlag flackern die Leuchtstoff-Röhren kurz auf und ein weiteres Geräusch erinnert an das Schließen von Zugtüren. Die Geräuschkulisse ist in ständiger Veränderung.

Das Ensemble Musikfabrik in der Jahrhunderthalle © Jonas Werner

Sechs Musiker bearbeiten ein Instrument, das den beeindruckenden Namen The Spoils of War, die Beute des Kriegs, trägt. Hier hängen sieben Artillerie-Hüllen, die an Plastikbecher erinnern, von der Spitze des Instruments. Sie treffen auf drei vibrierende Stahlplatten (Whang Guns), die mit einem Schlägel in immer kürzeren Abständen angeregt werden, und federn wieder zurück. Heraus kommt ein massives Aufprallgeräusch und ein subtiles, klirrendes Klappern. Man spürt und sieht das Experiment.

Zukunft?

Dann wird das titelgebende Stück Monophonie gespielt. Komponist und Techno-DJ Phillip Sollmann sampelte die gesamte Instrumentation Harry Partchs auf seinem Computer, um dort das Werk zu komponieren. Und auch eine Klanginstallation von Val Bertoia ist mit dabei lange Metallstäbe, die bei Berührung klingen. Mit dieser neuen Klangästhetik mischen sich Kostüme der Musiker, Bühnenbild und Tanz. Diese Kombination folgt Partchs Bild einer durchgehenden Narration und tatsächlich bekommt die Musik nun auch etwas ganzheitlich Rundes, das bei den anderen Stücken leider fehlt. Es ist ein sinnliches Stück. Neben dem Mix aus gefälligen Klängen und durchgehendem Metrum sieht der Zuschauer einen Tänzer und fühlt die pulsierende Musik, die sich immer mehr steigert, bis zur Ekstase. Obwohl die Musik eine vergängliche Kunst ist, erscheint in diesem Raum alles fokussiert und greifbar. Die dunklen, warmen Ambient-Sounds erinnern an nordafrikanische Tuareg-Musik und mischen sich mit den rhythmisch-repetitiven Klängen der Bamboo Marimba.

Immer wieder kommt ein neuer Baustein hinzu, immer wieder eine neue Verbindung. Phillip Sollmann gelingt es wunderbar die verschiedenen Welten zu vereinen. Die Stoffbahnen, die bis jetzt die Szene umrahmt haben werden so angeleuchtet, dass man durch sie hindurch und auf die alten Mauern der Jahrhunderthalle blicken kann. Auf der linken Seite hängt ein Baum, als Verweis auf das japanische Nō-Theater – für Sollmann wie Partch ein starker künstlerischer Einfluss.

Die riesige Wabe aus Klang und Geräusch pulsiert und wölbt sich unter den hämmernden Beats der Holzschlägel und dem stehenden Sound des Chromelodeons, einer an Partchs Tonalität, 43 Tonschritte in einer Oktave, angepassten Reed-Orgel. Hier merkt man, dass Sollmann normalerweise da ist, wo Menschen feiern. Denn auch den Musikern ist der Spaß an so einer komplexen Klangwerkstatt sichtlich anzumerken. Sie hämmern, streichen und klopfen. Immer weiter steigert sich der Klang bis hin zur völlig hemmungslosen Ekstase. Am Ende bleibt nur noch der nachhallende Klang der Cloud-Chamber Bowls übrig, der von einem lauten Sauggeräusch aufgeschlürft wird.

Monophonie meint zwar den Vortrag durch nur einen einzigen Ton-Erzeuger, doch Sollmann hat mit den Harry-Partch-Instrumenten auf eine andere Art Einstimmigkeit geschaffen.

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