Mahler scherzt, Schumann träumt

https://www.pregardien.com/images/photos/CP_2.jpg

Foto: © Marco Borggreve via www.pregardien.com/

Mit den ersten Takten von Mendelssohns „Jagdlied“ op. 83 Nr. 3 erzeugten Christoph Prégardien und Hartmut Höll am Klavier einen wuchtigen Einstieg. Mit kerniger und männlicher Stimme schmetterte der Sänger die Töne in den großen Saal des Anneliese Brost Musikforums Ruhr, wie Jagdhörner, die zum Aufbruch blasen. Ein durchaus angemessener Anfang für ein Konzert, das sich in der Folge jedoch in zwei gänzlich andere Richtungen entwickeln sollte; die des Humors und die der großen Empfindsamkeit und der facettenreichen romantischen Gefühlswelt.

Diese beiden Aspekte bestimmten den ganzen Konzertverlauf, denn Prégardien sang Lieder der großen Romantiker, wie etwa den Liederzyklus „Dichterliebe“ op. 48 von Robert Schumann und solche, die dem Publikum im Allgemeinen eher unbekannt sein dürften, beispielsweise Franz Schrekers „Das hungernde Kind“. Die Texte zur schumannschen Dichterliebe stammen von Heinrich Heine. Dies war eine Ausnahme, da sämtliche andere Liedtexte aus Clemens Brentanos und Achim von Armins Volksliedertext-Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ stammten, einem Werk, das charakteristisch die romantische Symbiose von Literatur und Musik, von Volkstum und Mythen, veranschaulicht.

Prégardien beweist guten Humor

Nach Alexander von Zemlinskys „Altdeutsches Minnelied“ op. 2 Nr. 2 folgte dann auch schon einer der Höhepunkte: Gustav Mahlers „Wer hat dies Liedchen sich erdacht?“. Erheiternd war das für das Publikum, denn Prégardien sang den beinahe albernen Text beschwingt und frohlockend, lange Koloraturen fluteten übermütig den Saal. Weiter ging es mit zwei Liedern von Brahms, bei dessen bekannten „Wiegelied“ op. 49 Nr. 4 schon ein Eindruck der gefühlvollen „Dichterliebe“ geboten wurde, da das Duo diesmal mit zurückhaltender Klavierbegleitung und überlegt konfrontationlosem Gesang auftrat. Robert Schumann fand sich aber auch anderswo im Programm des Abends. „Marienwürmchen“ op. 79 Nr. 14 und „Käuzlein“ op. 79 Nr. 11 wussten, durch die Vorstellung Pregardiens, erneut das Publikum zu verzücken, denn mit dem Tonfall eines wahrlich grüßenden Schwärmers , naiv aber blumig, endete er. Nach dem „Käuzlein“ blickte er dann auch noch wie eines, beides durchaus nette und passende Einfälle. Der Tenor erwies erneut seinen Sinn, den guten Humor in seine Interpretation einzubauen zu können, wie schon zuvor im ersten Mahlerlied.

Mitten in die freudige Stimmung traf erbarmungslos dann Franz Schrekers „Das hungernde Kind“, in welchem eine völlig unbedachte Mutter den Hunger ihres Kindes bis zu seinem Tod ignoriert. Anstatt sich in affektierter Dramatik zu ergötzen, ließ Prégardien die letzten Verse entschweben, die Tragik lieb im Halse stecken. Es folgte dann Humperdincks „Christkindleins Wiegenlied“, das mit sehr ruhiger, harmonischer Klavierbegleitung den vorausgegangenen Schrecken wieder beschwichtigte. Groteske und Witzigkeit zeichneten die Interpretation von Gustav Mahlers „Lob des hohen Verstandes“. Am Schluss der Fabel, eines Gesangstreits von Kukuk und Nachtigall, die einen Esel als Richter auswählten, ging Prégardien über den eigentlichen Text hinaus und blökte ein freches “I-Aah” in den Saal”. Sehr zur Freude des Publikums, das erneut spontan applaudierte.

Lieb und Leid in allen Facetten

„Dichterliebe“ von Robert Schumann war dann etwas völlig anderes, denn jenes sehnende Fühlen, das den Künstlern der Romantik so viel bedeutete, war für den Gesang Prégardiens maßgebend. Jeder Ton sprach die Sprache eines Literaten, der durch ein wahres Wechselbad der Gefühle reiste. Freude, Trauer und natürlich Liebe waren solche. Die einzelnen Lieder behandelten diese und Prégardien passte seine Darbietung immer genau an. Der Darbietende wusste genau, was er tat, denn aus seiner großen Kunst sprach Liebe, Liebe zur Kunst, denn sein Gesang zeichnete alle Facetten dieses komplexen Gefühls. Der Saal wurde mitgerissen, er tauchte in die leidenschaftliche Gesangswelt der Tenors ein. Das Spiel mit Klangfarbe und tiefer Inbrunst des Gesangs sorgte am Ende des Konzerts für großen Applaus, drei Zugaben wurden gegeben.

Steven Sloane, Hausherr und Chefdirigent der Bochumer Symphoniker, ermunterte das Publikum zum Schluss noch zu einem Ständchen für Prégardien, der Geburtstag hatte. Das wurde ihm natürlich gerne gewährt. Mit der Korrespondenz zwischen den Liedtexten aus „Des Knaben Wunderhorn“ und der Auswahl der Komponisten sowie natürlich der, in Witz und Gefühl geteilten, Darbietung des Duos Höll-Prégardien, war die deutsche Romantik mit ihrer vielfältigen Art in der ihr ureigenen Form des Kunstlieds gebührend präsentiert worden.

Tags in diesem Beitrag

Beitrag jetzt teilen