Notationsprogramme im Kreuzfeuer

Arbeitsplatz

Wer mit Notationsprogrammen komponiert, schreibt Musik für den Play-Button, nicht für Menschen aus Fleisch und Blut. Es kursieren viele Vorstellungen über Notationsprogramme und darüber, was sie bewirken. Dabei sind besonders Finale und Sibelius für junge Komponisten selbstverständlich geworden. Was können die Programme tatsächlich leisten und ist es wirklich problematisch, wenn Musik auf einem Bildschirm entsteht?

Vielleicht ist es immer noch eine beruhigende Vorstellung, wenn der Komponist irgendwo in der Abgeschiedenheit in einem Häuschen am Schreibtisch sitzt und mit einer Feder in der Hand Noten aufs Papier kratzt. In dieses Bild passen keine Programme rein, die ein symphonisches Werk als Midi abspielen. Aber auch ohne die verklärte Vorstellung einer schöpferischen Kraft der Handschrift machen Notensatzprogramme manchmal Probleme. „Ich habe als Interpret wirklich Computer-Noten bekommen, die so schlimm waren, wie handgeschriebene Noten nie sein könnten. Bei schlechten handgeschriebenen Noten, kann man die Intention noch erahnen.“ Das sei bei digital erstellen Partituren nicht möglich, erklärt Moritz Eggert. Als Interpret, Komponist und Professor für Komposition betrachtet er die Verwendung der Programme differenziert.

Aber wieso können Noten Musiker verwirren? Das liegt daran, dass Notation keine in Stein gemeißelte Sprache ist. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, die gleiche Musik zu notieren und diese können mehr oder minder verständlich sein. Um die Ideen der Komponisten möglichst originalgetreu zu vermitteln, gab es früher eigene Berufe. Beethoven hatte einen persönlichen Kopisten, der dafür zuständig war, sein Gekrakel in ein schöneres Schriftbild zu übertragen. Danach wurden die Kopien zum Verlag geschickt, wo sie von einem Notenstecher in aufwändiger Arbeit durch Kupferstich herausgegeben wurden. Noch in den 1990er Jahren war Noten herausbringen ein sehr aufwändiger Prozess. Verlage schickten lektorierte Partituren mit der Post an Kopierbüros, wo Stimmen mit der Hand auf Transparent-Papier kalligraphisch geschrieben und Fehler mit Rasier-Klingen behoben wurden. Für manch ein Digital-Native-Geschöpf mag das heute schon befremdlich klingen, obwohl dieses die 1990er Jahre wahrscheinlich miterlebt hat. Heute sind Notensetzer und Kopierbüros eine Seltenheit und ihre Arbeit wird nur für sehr aufwendige Stücke in Anspruch genommen. Verlage leben nicht mehr hauptsächlich von gedruckten Noten und sind zurzeit dabei ihre Rolle neu zu definieren.

Notensatz für die Oper South Pole, wie der Komponist Miroslav Srnka ihn eingereicht hat (linke Seite). Druckfertiger Klavierauszug überarbeitet durch den Verlag (rechte Seite) © Bärenreiter-Verlag

Der Notensetzer ist zwar obsolet geworden, aber sein Wissen ist immer noch wichtig. Komponisten haben mit Notensatzprogrammen nicht nur die Mittel, sondern auch die Aufgabe, professionelle Noten zu erstellen. Verlage sorgen zwar auch zum Teil dafür, dass die Notation ästhetischen Normen und Qualitätsstandards gerecht wird, es hilft aber wenn Komponisten selbst etwas davon verstehen. Und daran hapere es bei jungen Komponisten, findet Moritz Eggert. „Es gibt wirklich eine wahnsinnig lange Geschichte, wie Noten gesetzt werden müssen. Man muss wissen, was Instrumente können und was sie für Fähigkeiten haben. Geht eine Notenkombination auch in Cello oder geht sie in Klarinette? Das sind Sachen, die gehören zum Know-How und das fehlt manchmal“. Daran sei auch der Gebrauch des Play-Buttons im Programm Schuld. Fehler würden sofort gehört und direkt korrigiert. Dafür entwickle man weniger die Fähigkeit, innerlich zu hören. Das sei aber ganz wichtig und ermögliche es auch schneller zu komponieren, erklärt Eggert.

Der Player in den Programmen spielt alles ab, egal was geschrieben wurde. Ein Mensch gelangt aber irgendwann an die Grenzen seines Körpers und seines Instruments. Komponisten lernen das auf die schmerzhafte Art, wenn ihre Musik geprobt wird und etwas nicht funktioniert. Roman Pfeifer lehrt an der Folkwang Universität Essen Notation und kennt dieses Problem. „Man kann in der Musik hin und wieder richtig hören, dass die Leute mit Midi komponiert haben. Dann verstehe ich auch z.B. eine bestimmte Art von Präzision, die in Midi sicher super klang, aber mit echten Spielern nichts zu tun hat.“

Was man Notensatzprogrammen nicht vorwerfen kann, ist etwas nicht umsetzen zu können. Finale, Sibelius, Lilypond oder andere Programme – alle haben einen ungeheuren Umfang an Funktionen, Menus, Untermenus, Plug-Ins und eine schier grenzenlose Menge an Möglichkeiten. Und mit jeder neuen Version eines Programms, kommen neue Funktionen hinzu, die eine gute Hilfe sein können. Einen Großteil davon kennenzulernen, ist viel Arbeit. Die Musikhochschulen helfen aber mittlerweile mit Notations-Seminaren oder Workshops zu den einzelnen Programmen. An der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf unterstützt Prof. Hans Peter Reutter bei Fragen, die das Programm Sibelius betreffen. „Ich denke, an all den Vorwürfen ist etwas dran, wenn die Leute eben nicht mit den Programmen umgehen können. Aber nicht alles ist gleich einfach umzusetzen. Teilweise muss man sehr tief in die Programme einsteigen, um spezielle Dinge notieren zu können.“ Viele Fehler entstehen demnach durch fehlendes Wissen und Erfahrung mit den Programmen selbst.

Copy & Paste

Aber abgesehen von Fehlern, die passieren können: Beeinflussen die Programme auch das Komponieren? „Man entwickelt ein anderes Verhältnis zu Copy and Paste. Die Möglichkeit eine Passage erst mal zu kopieren und dann vielleicht zu editieren ist eine ganz andere Herangehensweise, als wenn ich handschriftlich arbeite und eine Stelle wieder aufnehme.“ so Dozent Hans Peter Reutter. Denn beim Abschreiben mit der Hand könne sich die Passage schon wieder ändern.

Zuerst passten sich die Programme durch verbesserte Versionen den Nutzern an, jetzt besteht die Gefahr, die Musik zu schreiben, die sich einfacher notieren lässt. Polytempik in ein Notationsprogramm zu übertragen oder Musik zu schreiben, die mit neuen Spieltechniken arbeitet sei mit Notationsprogrammen sehr schwierig umzusetzen, schildert Reutter. Die Grundeinstellungen bevorzugen bestimmte Arten von Musik. Deswegen hegt Roman Pfeifer eine Hassliebe zu den Programmen. „Das ist wie, wenn das Autokorrektur-Programm dauernd Dinge macht, die man nicht möchte. Das Werkzeug, welches versucht, die ganze Zeit mitzudenken, stellt einem plötzlich ein Bein“. Trotzdem überträgt er seine Handschriften oft in Finale. Nach allen Mühen und Kämpfen freut er sich, ein PDF-Dokument zu haben und damit weiterarbeiten zu können.

Roman Pfeifer, u.a. Dozent für Notation an der Folkwang Universität der Künste, Essen
Roman Pfeifer, u.a. Dozent für Notation an der Folkwang Universität der Künste, Essen
Komponist, Pianist und Professor für Komposition Moritz Eggert.
Komponist, Pianist und Professor für Komposition Moritz Eggert. Fotografin: Katharina Dubno
Prof. Hans-Peter Reutter in seinem Büro an der Robert Schumann Hochschule, Düsseldorf.
Prof. Hans-Peter Reutter in seinem Büro an der Robert Schumann Hochschule, Düsseldorf.

Was wäre also ratsam zu tun bei den Vor- und Nachteilen von Notationsprogrammen? „Man muss die junge Komponisten-Generation manchmal darauf aufmerksam machen, was verloren gegangen ist. Aber das darf nicht in einer Haltung münden, die ausdrückt: wir müssen das abschaffen.“ so Eggert. Das sei ein Prozess, in dem man lernt, intelligent mit neuen Medien umzugehen. Unsere Gesellschaft habe das auch mit anderen Technologien durchlebt.

Der Essener Dozent Roman Pfeifer glaubt, dass es Wege gibt, dieses fehlende Wissen in Hochschulen zu vermitteln. Man könne die Studenten dazu animieren, sich mit Musikern zusammen zu setzen und dadurch etwas über ihre Instrumente zu lernen. Auch sei es möglich ein Bewusstsein für Layouting zu entwickeln. Wichtig sei es, dass man mehrere Programme kennenlernt, um seinen eigenen Weg zu finden. „Ein guter Komponist ist sich darüber bewusst, dass die Notation Teil seiner Kommunikation mit Musikern ist und lässt sich von einem Programm nicht diktieren, was er zu schreiben oder nicht zu schreiben hat.“ Es gebe zur Zeit eben nicht nur entweder-oder Entscheidungen. Vielmehr bestünde ein Interesse daran, analoge und digitale Werkzeuge zu mischen und die Qualitäten der unterschiedlichen Medien produktiv zu nutzen.

Zwar sind Komponisten heutzutage mehr gefordert als früher. Sie müssen sich mehr mit der Notation auseinandersetzen, denn auf diesem Feld sind im Zuge der Digitalisierung einige Berufe im Rückgang begriffen. Außerdem wird von ihnen erwartet, dass sie sich mit hochkomplexen Notensatz- und Graphikprogrammen auskennen – zusätzlich zu dem Wissen, Handwerk und der Erfahrung, die sie sich ohnehin aneignen müssen.
Offenbar sind die Risiken real, dass Notationsprogramme durch ihre Strukturen die Komponisten lenken oder dass die Sound-Ausgabe sie in die Irre führen kann. Also ist auch da Vorsicht angebracht. Man könnte monieren, das sei zu viel für einen einzigen Menschen. Aber dies müssen die Komponisten selbst entscheiden. Faktisch gesehen, haben sie mit den Programmen aber viel mehr Möglichkeiten ihre Werke zu notieren und zu vervielfältigen. Ob sie im Komponierhäuschen sitzen oder im Dunkeln vor dem Computer – sie sind mehr denn je gefordert, ihren individuellen Weg aus einer Vielfalt an Möglichkeiten zu finden.

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