Elektronische Tricksereien

Computer-Music-Designer Thomas Goepfer erklärt, was hinter dem Mischpult passiert

Hinter dem, was bei „Kein Licht.“ außer manueller Orchestermusik und manuellem Gesang zu hören sein wird, hinter all der elektronischen Musik und allen elektronischen Effekten steckt ein Riesenapparat an Technik. Philippe Manoury arbeitet dafür mit dem Computer-Music-Designer Thomas Goepfer vom IRCAM zusammen, der versucht, die Wünsche des Komponisten so gut wie möglich zu realisieren.

Foto: Opéra Comique / Fabrice Labit

Es sei „eine Menge Arbeit“ für ihn, sagt Thomas Goepfer, „weil wir so großen Bedarf haben an unterschiedlichen Tools, an ihrer Verknüpfung und Veränderung.“ Vier Wochen vor der Premiere hat Goepfer noch kein Tool neu entwickeln müssen, sagt er, denn bisher ließe sich alles, was Manoury an Effekten haben wollte, durch Programme erreichen, die schon geschrieben waren. „Dafür müssen wir die Programme aber teilweise verändern und miteinander kombinieren.“ Philippe Manoury habe sehr genaue Vorstellungen von dem, was er an Effekten haben wolle – und Thomas Goepfer ist derjenige, der sie möglich macht. An drei Beispielen erklärt er, was elektronisch bei „Kein Licht.“ passiert.

In Musik umgerechnete Sprache

An manchen Stellen in der Oper wird das, was Caroline Peters oder Niels Bormann als A und B sprechen, für den Zuschauer klingen wie eine Melodie. Nicht unbedingt wie eine komponierte Stimme, wie gestützter, technisch klassischer Gesang – aber wie gesprochene Sprache klingen wird es vermutlich noch weniger. Dafür wird die Stimme des Sprechers in einem ersten Schritt vom Computer analysiert, um herauszufinden, in welchem Umfang sie sich in etwa bewegt und welche Frequenz sie hat. Im gleichen Moment errechnet der Computer von jeder analysierten Tonhöhe den Ton, der innerhalb des Tonsystems am nächsten ist, und transponiert den analysierten „Sprech-Ton“ auf diese Tonhöhe.

So entsteht aus einer Sprech-Melodie, die sich über deutlich kleinere Intervalle als Halbtöne bewegt, in Echtzeit eine Melodie innerhalb des Tonsystems. Gleichzeitig wird die Stimme von dem elektronisch erzeugten Klang eines gezupften Cellos eins zu eins begleitet, wodurch die Wirkung noch verstärkt wird. Die Verzögerung, die dabei entsteht, beträgt laut Goepfer maximal 30 Millisekunden – dürfte also für den Zuhörer kaum wahrnehmbar sein.

Eine einzelne Stimme, die zu einem Chor wird

„Nur wenn die realen Risiken auf ein Minimum reduziert sind, während sie doch beträchtlich gefährlich scheinen, empfinden wir, da es ja nur auf dem Bildschirm geschieht […], das größte Vergnügen“ – unter anderem diese Worte, die Niels Bormann und Caroline Peters sprechen, teilweise im Wechsel, klingen, als sprächen sie mindestens ein Dutzend Stimmen gleichzeitig. „Wenn man aus einer einzelnen Stimme einen Chor machen will, ist es nicht damit getan, die Stimme nur jeweils verzögert abzuspielen“, sagt Thomas Goepfer. „Wir erwarten als Chor-Klang, dass zwar die ganze Zeit der gleiche Text gesprochen wird, wir aber verschiedene Timings in den einzelnen Stimmen haben, unterschiedliche Längen und unterschiedliche Timbres.“ Dafür benutzt Goepfer ein Tool, mit dem sich das Timbre einer Stimme verändern lässt, ohne aber die Tonhöhe zu verändern. Er formt also aus beispielsweise Niels Bormanns Stimme mehrere Stimmen, einige, die vom Timbre her eher einer Frauenstimme ähneln, andere, die eher einer tieferen Männerstimme ähneln.

Diese Stimmen werden dupliziert und mit unterschiedlichem Timing abgespielt – an manchen Stellen augmentiert, an anderen diminuiert, aber jeweils nur minimal. Bei dem Ursprungs-Tool bestand jedoch die Gefahr, dass das gleiche auch mit Umgebungsgeräuschen, mit dem Gesang der Sänger oder der Musik des Orchesters passiert. Also passte Goepfer das Tool an, das nun versucht, die gesprochene Stimme, die gemeint ist, bestmöglich zu filtern und alles andere zu ignorieren.

Der „improvisierende“ Computer

Um mit seiner Musik zeitlich möglichst flexibel zu sein, arbeitet Philippe Manoury mit sogenannten Markow-Ketten, eine Möglichkeit der algorithmischen Komposition, bei der der Computer durch stochastische Verfahren selbst eine Partitur erzeugt – im Prinzip eine Form der künstlichen Intelligenz. Manoury kann dabei Rahmenparameter festlegen, zum Beispiel die Dauer, die er haben möchte – fünf Minuten, 20 Sekunden, 20 Minuten. „Man kann dem Computer das Wissen über die restliche Musik vermitteln, indem man ihn die Partitur analysieren lässt“, sagt Goepfer. „Der Computer analysiert die Beziehung der verschiedenen Noten zueinander und kalkuliert daraus Wahrscheinlichkeiten: Wenn dort beispielsweise ein C notiert ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass danach beispielsweise ein D kommt, bei 60 Prozent, die Wahrscheinlichkeit, dass danach ein G kommt, bei 10 Prozent und so weiter.“ So simuliert der Computer eine Art Perpetuum Mobile dessen, was bereits an Musik komponiert wurde – er rechnet innerhalb der bestehenden Schemata eigene Melodien und Klänge aus. „Philippe Manoury wird es nicht mögen, wenn ich es so nenne“, sagt Goepfer, „aber es ist eine Art Improvisation.“

Manoury selbst wehrt sich deshalb gegen den Begriff, weil er, wie er sagt, mit der Improvisation menschlicher Musiker selten zufrieden ist: „Das Ergebnis ist meist entweder chaotisch oder zu einfach“, sagt er. „Ein Musiker kann vielleicht improvisieren, wenn er das wirklich kann und gelernt hat, aber wenn ich zwölf Musiker habe, die im selben Stil improvisieren sollen, kann ich das nicht machen. Das würde nicht funktionieren.“ In welchem Stil der Computer die Musik produziere, wisse er, sagt Manoury, „aber ich weiß nie genau, was am Ende wirklich dabei herauskommt, das bleibt eine Überraschung.“ Es sei wie bei einem Gewitter: „Du weißt, Blitz und Donner werden kommen, aber du weißt nicht genau, wann.“

  • IRCAM ist die Abkürzung für “Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique” (Forschungsinstitut für Akustik/Musik)
  • Pierre Boulez war an der Gründung des IRCAM beteiligt
  • Er formulierte dessen Aufgaben folgendermaßen:

„Man weiß ja inzwischen, daß ich den Plan verfolge, in Paris ein Forschungsinstitut zu gründen, und zwar nicht nur für die Elektroakustik und Elektronik, sondern für die Forschung in allen Bereichen, die das Gebiet der Musik und Akustik betreffen.“

  • Das IRCAM gilt als eine der weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Erforschung der elektronischen Musik, neben dem Kölner Studio für elektronische Musik.

Thomas Goepfer, 36, hat an der Hochschule in Lyon Querflöte und Computermusik studiert. Seit 2005 arbeitet er bei IRCAM als Computer-Music-Designer.

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