Fest oder Spektakel?

Zentralwerkstatt vor der Kohlenmischhalle Zeche Lohberg: Stargast Byung-Chul Han ist der erste Redner der Ruhrtriennale 2015, der allererste in der Geschichte des Festivals.

Die Revolution ist ein gewaltsamer Umsturz eines Systems. So etwas haben Unzählige bereits gefordert, wenige tun es geistesgegenwärtig noch immer. Der Haken ist dabei nie das ersehnte Ziel des Fordernden, sondern wie der Umsturz herbeigewünscht wird. Wir sollten uns über einiges klar werden, denn wir sind schließlich die Dorfbewohner des umzuwälzenden Systems. Gerade das “wie” stößt uns die Pforte auf, die uns eventuell die bestellte Utopie verstehen lässt.

Der Philosophieprofessor Byung-Chul Han wird gerne als Pop-Philosoph heruntergestutzt. Am liebsten von ranghohen Kollegen, die Philosophie nicht am Fließband, sondern in Auswüchsen formulieren, die gefühlt komplette Regenwälder für ihre Papierpublikationen abholzen, ohne dabei Ausmaße zu erreichen. Kurzum: Darf ernsthafte Philosophie Kommerz sein? Diese Frage, ohne finale Antwort, muss an dieser Stelle gestellt sein, um Hans Aussagen zu erklären, zu verstehen, ja vielleicht zu hinterfragen.

Ihm obliegt das Privileg der allerersten Eröffnungsrede der Ruhrtriennale. Intendant Johan Simons befindet sich in seinem ersten Drittel Amtszeit und er springt am Podium schier im Dreieck, weil Han sich die Ehre gibt. Klar ist, Han fordert eine Revolution. Liest man eines seiner dünnen Bücher, bleibt auf der letzten Seite ein Gemenge aus Angst, Trauer aber auch Enthusiasmus. Hans Sicht der Dinge rumpelt und poltert maximalst pessimistisch daher, dass man schon beinahe, entgegengesetzt seiner Thesen, in eine Form der Manie versudelt. Wenn es einer schon so durchblickt hat, muss es einfach einen Ausweg geben, oder?

Heute hagelt es böse Chiffren, allesamt freilich zutreffend. Die Ruhrtriennale kündigte vorab an, man könne Han beim Denken beiwohnen, nur bleibt es Aufgewärmtes aus seinem bisherigen Schaffen: Wir leben in der Diktatur des neoliberalen Systems. Wir beuten uns selbst aus, posten freiwillig den erbärmlichen Rest, der uns im Spätkapitalismus bleibt, auf Facebook und Twitter. Wir kreieren, existieren und flanieren freiwillig im Warenhaus, wir sind die Ware. Wir arbeiten uns ins Burnout, die Form der Depression unserer Zeit. Wir sind verdammt, und das auch noch mit jeder Faser freiwillig verzehrend. Wir sind es nur noch gewohnt unser Smartphone mit Berührungen zu liebkosen, alles Fetisch, nichts ist Erotik. Auflisten könnte man hier fast jeden Satz von Han, er schüttelt alles aus dem Ärmel. Und, mein Gott, wie ihn die Leute an diesem Abend lieben. Zwei Damen, eine Reihe näher an Han, kriegen sich gar nicht mehr ein. Endlich sagt mal einer die Wahrheit.

Anstelle der bösen Chiffren, solle man einer Zeit frohlocken, die er Hoch-Zeit nennt. Diese Zeit ist ein Fest, ein kontemplatives Umherwandern, ohne wirkliches Ziel. Die Hoch-Zeit, Gegenteil der Arbeitszeit, reichert den Augenblick mit Lebensintensität an. Auch genau das hat sich die Ruhrtriennale auf die Fahnen geschrieben, gezielt eröffnen sie das Festival mit dieser Rede. Aber Moment, nichts da! Byung-Chul Han verneint das “Umschlungen sein”, er weist den Intendanten zurück und vernichtet mit ein paar Sätzen en passant das vermeintliche Fest.
Han ist sich sicher, dass er die Triennale als Spektakel entlarvt, es fehle an Verbindlichkeit. Zudem sei es unmöglich, dass das Festival überhaupt Chancen besitze eine Hoch-Zeit zu werden. Warum ist er dann gekommen? Um am Anfang die Krawallschachtel zu miemen? Nach seinen eigenen Aussagen, sei es reines Pflichtbewusstsein, dass er die Rede halte, er habe es versprochen. Ach ja, und in Düsseldorf könne man gut chinesisch essen.

Das bleibt nur ein Splitter seiner Rede, schon sind wir wieder bei der depressionssüchtigen Gesellschaft, aktuellen Geschehnissen rund um Griechenland, der Diktatur des Kapitals, den Botox-Zombies, dem bösen Internet. Han forciert den Szenenapplaus, ist das noch Populismus?
Egal, Eigenkritik macht ein Festival angeblich ehrlicher, nicht ganz so verlogen, wie andere Sommerkolosse wie Bayreuth oder Salzburg.
Gegen Ende der Festspielrede zitiert Han viel Nietzsche. Just in diesem Moment plätschert Regen aufs Dach der Zentralwerkstatt in Dinslaken, es erwächst zum Prasseln. Als hätte Professor Han den Regen bestellt, damit das Naturereignis seinen Auftritt zu einem Gesamtkunstwerk komplettiert. Ist er schon so mächtig? Die Dramatik zieht verdammt gut, letztlich hört man Han vom Göttlichen,  vom Geheimen und vom Staunen reden. Das alles brauchen wir angeblich. Weg vom Warenhaus, hin zum Festhaus. Der Applaus verebbt und die zwei, vorher so begeisterten Damen, zücken ihr Handy. Zack. Schnell ein Erinnerungsbild gemacht. Schall und Rauch.

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Foto: S. Fischer Verlag

Byung-Chul Han gilt als einer der bedeutendsten Philosophen unserer Zeit. Er ist Professor an der Universität der Künste in Berlin. Han schrieb eine Vielzahl von philosophischen Abhandlungen. Seine Schwerpunkte sind der  Neoliberalismus, das digitale Zeitalter und die freiwillige Ausbeutung unserer Selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert.

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