Die Königin und ihr Butler

Anna Prohaska schmachtet, wütet und leidet auf ihrem Album „Serpent & Fire“ in der Rolle zweier Königinnen: Dido und Kleopatra. Ihre Begleitung stiehlt ihr allerdings die Schau.

Anna Prohaska. Foto: © Harald Hoffmann

So kann das wirklich nicht gewollt sein. Anna Prohaska, selbsterkorene Königin ihrer Konzepteinspielung „Serpent & Fire“, wird vom Thron geschubst. Immer wieder, manchmal schockartig. Dabei kann niemand behaupten, dass sie schlecht singt – im Gegenteil! Nur manchmal reicht ein winziges Zwischenspiel des Ensembles Il Giardino Armonico, um ihr die Schau zu stehlen. Diese Musiker sind so agil, dass es in den Zehen juckt, dann so einfühlsam, dass man sich direkt zwischen Cembalo und Cello legen und dort den Rest des Lebens verbringen, mitwähnen und mitleiden will.

Von Dido und Kleopatra, derer sich viele Komponisten musikalisch angenommen haben, hat Prohaska sich ausschließlich barocke Versionen ausgewählt. Sie stellt Berühmtes neben Unbekannteres, Henry Purcell neben Antonio Sartorio und klappert so die Gefühlszustände der Königinnen ab, die sich beide auf tragische Weise das Leben nahmen: die eine mittels Schlangengift, die andere auf dem Scheiterhaufen.

Die Dramaturgie geht auf. Wir begegnen der in Tränen aufgelösten Dido im Palast, kurz darauf lispeln die Wellen am Strand von Karthago, und wenig später poltert die trotzige Kleopatra durch die Szenerie. Prohaska beherrscht die Partien makellos, sie riskiert viel, schmeißt sich in jeden Affekt. Ihre klangschöne Stimme schmiegt sich wunderbar an die Melodien und tanzt mit den Koloraturen durch die Register. Die Scharniere zwischen den Orts- und Personenwechseln liefern Instrumentalwerke und Improvisationen, welche die Arien der Schöpfer Locke, Graupner, Händel, Sartorio und anderen miteinander verbinden.


Es öffnet sich der Vorhang mit der Ouvertüre zu Henry Purcells Oper „Dido und Aeneas“. Behände springt das Ensemble durch den Notentext, spannt einen riesigen, unerbittlichen Bogen über das Achtel-Gewusel und zieht einen an den Ohren hinein ins Geschehen. Das macht Lust auf mehr!
Schade, dass der Auftritt Anna Prohaskas im Vergleich dazu recht unspektakulär daherkommt.
Erst das Nachspiel lässt wieder aufhorchen, mit schneidenden Streichern und einer hervorragenden Theorbenimprovisation, die zu Christoph Graupners Dido überleitet.
Hier spielt der Dirigent des Ensembles, Giovanni Antonini, selbst Blockflöte – und trotz seiner angemessenen Zurückhaltung macht er Prohaska mit seinem samtigen Ton Konkurrenz.
Wie königinnenhaft Anna Prohaska sein kann, zeigt sich erst im Vergleich mit einer anderen Aufnahme.

Die Arie „Se pietà“ aus Georg Friedrich Händels Oper „Giulio Cesare in Egitto“ findet sich in einer trägen Einspielung mit René Jacobs und Barbara Schlick. Kleopatra fleht den Himmel an, droht mit Selbstmord, doch Barbara Schlick gräbt mit ihrem beinah schrillen Vibrato so gleichmäßig in den Eingeweiden, dass es nicht mehr weh tun kann. Die Orchesterbegleitung schreitet mit gesenktem Kopf dahin, knallt manchen Akzent heraus und spart sich jeglichen Schnörkel. Nach drei Minuten weiß man, was in den restlichen sechs passieren wird.

Gegen diese plumpe Königin wirkt Anna Prohaska in der Händel-Arie, die in der Mitte ihrer Interpretation steht, sehr stolz. Und das ist schön. In einem wesentlich flüssigeren Tempo werden ganz neue Töne in dieser Arie offenbar, ohne den Grundcharakter zu überbügeln.
Ihr opernhafter Gestus ist hier genau richtig am Platz, die Vibrati entwickeln sich organisch, die Triller sprudeln angenehm dahin, und die Sopranistin lässt die langen Töne ohne viel Schnickschnack fließen.

Aber das Heikle kommt zum Schluss. Ganz ans Ende ihrer Einspielung hat Anna Prohaska das berühmte Lamento der Purcell’schen Dido gestellt – beinah ein barocker Schlager. Das Chaconne-Motiv schleppt sich klagend abwärts, während Dido ihrem Tod entgegensingt: „When I am laid in earth“.

Hier passiert viel, irgendwie zu viel. Anna Prohaska windet sich im einleitenden Rezitativ um die Worte, verliert sich im Farbspiel der Stimme. Wie eine launische Prinzessin, nicht wie eine Königin, die kurz vor ihrem Tod nach der Hand ihrer Dienerin greift. Die Verzierungen, scheint es, lenken vom Ausdruck ab und verhindern die echte, verzweifelte Klage – wie andere Künstlerinnen zeigen.
Simone Kermes, überdrehte Barockdiva, macht es vor. Mit ihrer rosenblätterigen Stimme zittert und seufzt sie, kostet jeden Moment aus.

Der Dirigent Teodor Currentzis und sein Orchester Musica Aeterna umfangen die Sängerin mit samtweichen Streichern und geleiten sie in einem Trauerzug gen Himmel. In den gemeinsamen Rubati öffnet sich ein ungeahnter Raum, in dem die Last beinahe aller Tragödien zu schlummern scheint. Hier stirbt eine Regentin, erwachsen und geläutert.

In diesem Punkt gehört Anna Prohaska noch nicht zu den ganz Großen. Doch es spricht für sie, dass sie sich ein großes Ensemble zur Seite gestellt hat, das sie im besten Sinne begleitet und nie überdeckt.
Einem versierten Butler gleichend, weiß Dirigent Giovanni Antonini, wie er die Solistin am besten glänzen lassen kann – aber auch, wann sein Moment gekommen ist.

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