Woodstock für Bach-Liebhaber

Kuhn_Orgel_Essen

Zunächst einmal in Zahlen: 216 Orgelkompositionen Bachs, 16 Stunden, 11 Organisten, eine Orgel. Eine Mammutaufgabe – für Ausführende und Zuhörer.

Die Strahlkraft des Orgelwerks Johann Sebastian Bachs ist ungebrochen. Es gibt ganz bestimmt keine einzige Orgel in den Kirchen und Konzertsälen dieses Landes, auf der nicht schon mal Orgelmusik von Bach erklungen ist. Das Werk bildet sämtliche Gattungen der Orgelmusik ab, die zu Lebzeiten Bachs üblich waren. Es umfasst Partiten, Fantasien, Präludien, Fugen und Choralbearbeitungen. Vor allem die “Choralbearbeitung” und das Satzpaar “Präludium und Fuge” sind Formen, die zuallererst Bach geprägt hat.

Die Philharmonie Essen hat am letzten Aprilwochenende (28./29.04.) das gesamte Orgelschaffen Bachs in einer Art Festival-Wochenende dargeboten. Am Samstag und Sonntag wurden jeweils von 10 Uhr morgens bis in den Abend hinein einstündige Orgelkonzerte aneinander gereiht. Zwischen den Konzertblöcken gab es dreißig Minuten Verschnaufpause. Wolfgang Kläsener – Orgelkustos der Philharmonie Essen – hat das Wochenende mit dem ersten Konzert eröffnet. Seine Organistenkollegen, die aus Bern, Leipzig, Durham, Budapest oder Bordeaux nach Essen gekommen waren, stellten in den einzelnen Konzerten neben bekannte Stücke stets auch weniger bekannte Kompositionen Bachs. Dem Essener Publikum dürfte vor allem Sebastian Kühler-Blessing ein Begriff gewesen sein, er ist Organist des Essener Doms. Anlass des Wochenendes war Johann Sebastian Bachs 333. Geburtstag

Die große Kuhn-Orgel überstrahlte am Samstagabend um 19:00 Uhr den Alfried-Krupp-Saal auch optisch. Gespielt hat dieses Konzert Holger Gehring, Organist der Kreuzkirche Dresden. Die 4502 Pfeifen der Orgel offenbarten ihre Kraft nicht nur akustisch, auch das Orgelprospekt beeindruckte. Es fügt sich ein in die Architektur des Saales und ist doch stets Blickfang. Sie ist eine Konzertsaal-Orgel, die im Unterschied zur Kirchenorgel eine hirarchische Abstufung der einzelnen Pfeifenregister untereinander ermöglicht. Die Mensuration und die Intonation sind auf das Zusammenspiel mit einem Orchester ausgelegt. Auch verklingen selbst vielschichtige Akkorde fast abrupt und der sonst so gewohnte Hall einer Kirchraum-Orgel bleibt aus. Vielleicht klang gerade deshalb das Trio d-Moll BWV 583 so besonders einfühlsam und zart. Nach einer kurzen Zeit des Sich-Einhörens offenbarten sich die Vorteile der Konzertsaal-Akustik. Der Gesamtklang war ausgewogener, einheitlicher zuweilen aber auch steriler als man ihn von Kirchenorgeln kennt. Besonders die Choräle beeindruckten durch ihren warme Klangfarbe. Zugleich Schwungvoll und majestätisch wirkte das Präludium und die Fuge C-Dur BWV 545.

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                                                                                                                                                                        Photo by Guang Yang on Unsplash

Das Kenner-Publikum belohnte den Organisten mit einem kräftigen Applaus. Bachs Orgelmusik präsentierte sich an dem Abend von einer braveren, innigeren Seite als gemeinhin angenommen wird, vorausgesetzt man denkt zuerst an die Toccata und Fuge d-Moll BWV 565. Unklar bleibt zudem die Zahl derer, die alle Konzerte besucht und somit das gesamte Orgelwerk miterlebt haben. Vielleicht liegt genau da der Reiz. Sich hineinbegeben in den Rausch mit allem, was dazugehört, ergriffen sein, getröstet werden, aber vielleicht auch zuweilen gedanklich abzuschweifen oder gar gelangweilt zu sein. Ein Selbstversuch, der bei der ungemeinen Qualität des Werks und (vor allem!) der Interpreten eigentlich nicht schief gehen konnte. Hoffentlich ist der Kater der Besucher des Bachschen Woodstock-Festivals ausgeblieben.

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